»Mein Bruder Severus war mir ein Vorbild in der Liebe zu meinen Angehörigen sowie in der Liebe zur Wahrheit und zum Recht.
Durch ihn gewann ich eine Vorstellung von einem Staat, der nach gleichen Gesetzen und nach dem Grundsatz der Bürger- und Rechtsgleichheit verwaltet, und von einem Reich, wo die Freiheit der Bürger höher denn alles geachtet wird.
Von ihm wurde ich ferner angeleitet, in standhafter Achtung der Philosophie zu beharren, wohltätig und freigiebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen, etwaige Mißbilligung ohne Rückhalt gegen sie auszu-
sprechen und ihnen offenherzig kund zu tun, was ich von ihnen erwarte und was nicht, ohne sie dies erst lange erraten zu lassen.«
Marcus Aurelius »Selbstbetrachtungen«
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»Haltung ist Stärke«
Wie die im Januar 1996 zurückgetretene Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Vorwort ihres Buches mit obigem Titel betont, sei Berechenbarkeit oberstes Gebot für jeden Politiker mit ernsthaftem Anspruch den von ihr oder ihm vertretenen Bürgern gegenüber. Die inhaltliche Ausrichtung eines jeden Amtsträgers müsse erkennbar sein und bleiben; schließlich sei man ja gerade deshalb gewählt worden. Man dürfe daher nicht je nach Opportunität seine Richtung wechseln oder gar die grundsätzliche Haltung wichtigen Sachfragen gegenüber verändern oder gar ins Gegenteil verkehren. Ständiges Lavieren oder Taktieren, biegsame Anpassung der eigenen Meinung mit immer neuen Begründungen hält sie für grundsätzlich falsch, den dadurch kappe man die Verbindung zu seinen Wählern und damit die unverzichtbare Grundlage und den Wesenskern jeder wahren Demokratie. Frau Leutheusser-Schnarrenberger war 1996 freiwillig und konsequent von ihrem Amt zurückgetreten, als die Mehrheit von nur 44% abgegebener Stimmen der Parteimitglieder der FDP für den von ihr abgelehnten großen Lauschangriff stimmten.
Die damit angegriffene Freiheit war und sei ihr nach wie vor wichtig und ihren Schritt habe sie nie wirklich bereut.
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Die »aufgeklärte« Rolle der BürgerInnen im demokratischen Rechtsstaat
Demokratie sei »Regierung vom Volk, durch das Volk und für das Volk«, so der erste Präsident der Vereinigten Staaten von (Nord)Amerika Abraham Lincoln in seiner berühmten Rede von 1863 nach der Schlacht von Gettysburg im amerikanischen Bürgerkrieg. Wie die französische Revolution gegen Ende des Jahrhunderts davor gezeigt hatte, ist dies aber nur dann zielführend, wenn damit nicht beabsichtigt ist, den absoluten Herrschaftsanspruch eines Monarchen ebenso absolut auf das Volk übergehen zu lassen; dies Herrschaft soll eine indirekte bleiben und durch das Recht gezügelt und geregelt werden, wie schon Aristoteles wusste. Aber auch diese Form des demokratischen Rechtsstaates ist heute alles andere als verwirklicht; dazu hätte eine Verfassung als übergeordneter Rechtsrahmen vom Volk bestimmt und verabschiedet werden müssen, wie es auch das Grundgesetz in seinem Artikel 146 vorsieht.
Warum hat man nicht die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 genutzt, um dieses Versprechen zu erfüllen? Warum gibt es nach wie vor keine Ausführungsbestimmung durch den Bundestag zu diesem Artikel?
Dabei läge doch z.B. ein Verfassungskonvent gebildet durch gewählte Vetreter der 299 Wahlkreise zur Erarbeitung einer mit dem Volk zu beratenden und von ihm zu autorisierenden Verfassung recht nahe. Außerdem würde ein solcher Beratungsprozess die Bürger*Innen wieder näher und lebendiger an ihren Staat heranführen, anstatt sie durch heutige Parteienverwaltung und gezielte Nichtbeteiligung - Wahlen sehe nicht nur ich nicht als Beteiligung!- immer weiter ihrem Staat zu entfremden. Der heutige desolate Zustand der Gewaltenteilung ist eine Folge davon, denn wir haben sie nur auf dem Papier. Oder präziser ausgedrückt und begründet:
Die heutige Form der Gewaltenteilung wird dem Art.20 GG nicht gerecht.
Denn danach obliegt die Sicherstellung der Gewaltenteilung eindeutig dem Volk, damit sie als wesentliches Instrument jeder rechtsstaatlichen Demokratie überhaupt wirksam werden kann und wirksam bleibt. Die Einrichtung einer entsprechenden Institution wäre überlegenswert, berichtend an das Volk und verantwortlich für die Rechtswirksamkeit einer jederzeit zeitgemäßen Verfassung.
In dem nachstehenden Dokument wird auch ein kurzer Blick geworfen auf den Verfassungskünstler der Aufklärung und der französischen Revolution von 1789: Abbé Emmanuel Joseph Sieyes, der versucht hat Freiheitsrechte und Volkssouveränität miteinander in Einklang zu bringen. Seine Gedanken bis hin zu einer Gemeinwohlorientierung(!) als letztem Zweck einer demokratischen Verfassung sind auch und gerade für uns heute noch von großer Bedeutung.
Soweit sind wir noch nicht gekommen, obwohl die Artikel 20 und 146 GG diesbezüglich eine eindeutige Sprache sprechen.
Bestehende Bürger- und Demokratieinitiativen haben bisher nicht vermocht, ihre Kräfte zur Realisierung dieses Ziels zu bündeln.
Die erste Datei enthält die Kurzform unseres Vorschlages zur Erfüllung der Versprechen aus dem Grundgesetz.
Das danach folgende Positionspapier beleuchtet verschiedene Ansätze näher und lädt ein zum Diskurs.
Die erste nach wie vor bestehende Unstimmigkeit - 70 Jahre nach Entstehung des Grundgesetzes!, ist die fehlende Ums...Weiterlesen
Die erste nach wie vor bestehende Unstimmigkeit - 70 Jahre nach Entstehung des Grundgesetzes!, ist die fehlende Umsetzung dieser Souveränität in einen Prozess der Verfassungsgebung, nach welchem auch Artikel 146 GG verlangt.
Auf eine zweite und zunehmende Unstimmigkeit weist die emeritierte Professorin für Politische Theorie, Ingeborg Maus, hin in der Einleitung zu ihrem Buch »Justiz als gesellschaftliches Über-Ich« (Suhrkamp Verlag 2018):
Zum Anlass der Feierlichkeiten zum 60jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichtes seien dessen beiden Senate als »die zwei Herzkammern unserer Demokratie« bezeichnet worden. Dies wurde u.a. damit begründet, dass deren Rechtssprechung die scheinbar festen Gehalte unseres Grundgesetzes zu immer wieder neu aktualisierten Gehalten und Interpretationen unserer Verfassung hingeführt und somit die Demokratie bereichert hätte.
Genau aber dies, so Maus, könne und müsse man auch kritisieren, denn dadurch entstehe nicht legitimiertes, den Gesetzgeber aber bindendes Verfassungsrecht. In der Präambel unseres Grundgesetzes (wie auch in dessen Art.146) aber sei die verfassungsgebende Gewalt eindeutig und unmissverständlich beim Volk verankert und nach Art.38 werde die nicht weisungsgebundene Legislative allein durch Wahlen legitimiert. Beides beruft sich also auf die Volkssouveränität, zu welcher wie beschrieben das Bundesverfassungsgericht in Konkurrenz tritt. Das Problem bestehe und werde durch die fast schon religiöse Verehrung des Gerichtes durch das Volk noch verstärkt. Zu dieser Thematik sollte unbedingt noch und mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass alle Protagonisten - Montesquieu wie die Kontraktualisten Locke, Kant, Rousseau und sogar Hobbes sich in einer Sache absolut einig waren: In der Forderung einer absolut strengen Bindung der Justiz an die geltenden Gesetze. Gegen diese zentrale Forderung entließe die sich seit dem 20. Jahrhundert entwickelnde Rechtslehre, so Maus, die Gerichte durch eine Entformalisierung des Rechts aus der Bindung an die Gesetze und zerstörte so zunehmend das System der Gewaltenteilung. So würde vom BVerfGE Wert gelegt auf Bestimmungen wie »Funktionsfähigkeit der Unternehmen und der Wirtschaft«, »Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und Funktionstüchtigkeit der Landesverteidigung« oder »Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege« (BVerfGE 50,290,232/28,243,261/51,324,345), während verfassungs-rechtliche Einzelbestimmungen zurückzutreten hätten. Geschriebene Freiheitsgarantien der Verfassung würden auf diese Weise unter den Vorbehalt ungeschriebener Eigengesetzlichkeiten ökonomischer oder politischer Apparate gestellt: Indem Gerichte moralische Prinzipien nach eigenem Gutdünken in die Rechtsprechung einbezögen, könnte praktisch jeder Einzelfall rechtsrelevant werden. Die eigentlich in der demokratischen Verfassung vorgesehenen rechtsfreien Freiheitsräume würden so gegen ursprüngliche Absicht und gegen den Auftrag des Souveräns zum Verschwinden gebracht.
Die im Buch folgende, eingehende Analyse von Ingeborg Maus ist lesenswert wie lehrreich und eine segensreiche Empfehlung zur Vervollkommnung unserer Demokratie.
Aus der Sprach- und Satzlogik der Art.20 und 146 GG wie aus der Geschichte ergibt sich in der nachdenklichen Zusammenschau eindeutig,
dass das Grundgesetz keine Verfassung ist und auch gar nicht als solche gemeint war. Es war und ist allenfalls ein Vorläufer und ein Platzhalter,
um die Rolle einer Verfassung auf Zeit zu übernehmen, bis eben die Umstände es zuließen, dass das Volk sich diese Verfassung selbst erarbeiten könne.
Für Deutschland waren spätestens mit der Wiedervereinigung genau diese Umstände eingetreten.
Seit der Aufklärung und der Ablösung absolutistischer Herrscher wissen wir: Der Rechtsrahmen einer Verfassung demokratischer Rechtsstaaten muss zwingend vom Volke kommen, sonst käme er ja weiter von den Herrschenden; Gesetzeshierarchie und Gewaltenteilung wären damit wieder beseitigt.
Den Menschen, deren Würde unantastbar ist, sollte man doch eigentlich die Fähigkeit zugestehen, sich als Bürger und Bürgerinnen eine Verfassung aus freien Stücken erarbeiten zu können und darin die übergeordneten Regeln des gewollten Zusammenlebens in gemeinsamer Beratung festzulegen.
Dieses Zutrauen in die Bürger hatten offenbar die Mütter und Väter des Grundgesetzes; nicht anders ist die Existenz des Art.146 sinnvoll zu erklären.
Die bis heute fehlende Ausführungsbestimmung, nach welchem Verfahren das deutsche Volk sich diese Verfassung geben könne, gibt zur Sorge Anlass.
Diese Sorge verstärkt noch die Tatsache, dass bisher weit mehr als die Hälfte aller Artikel des GG geändert wurden, ohne die Bürger*innen zu beteiligen.
Einige Beispiele für solche substanziellen Widersprüche seien nachstehend aufgeführt.
(a) Die Wahlbeteiligung nimmt regelmäßig ab, die Zahl der Parlamentarier wächst aber dennoch. Die mittlerweile grösste Partei ist die der Nichtwähler, aber Parteien besetzen die entsprechenden Stellen trotzdem mit ihren Leuten als seien sie gewählt. Wahlbeteiligung darf nicht negiert werden, sie ist zu beachtende Kritik der Wähler.
(b) Seit 2015 haben wir eine mehr oder weniger ungebremste und ungeregelte Migration; sie wird erklärt mit Hilfe für Bedürftige. Mal abgesehen davon, dass die Frage nach partikularer und globaler Gerechtigkeit eine sehr schwierige und umstrittene ist, und die Art des Vorgehens vielleicht sogar den Tatbestand einer Verfassungsverletzung erfüllt - einige namhafte Rechtsfachleute behaupten dies -, möchte ich hier nur eine Frage stellen, die auf einen anderen Widerspruch hindeutet, den zwischen der Glaubwürdigkeit und der Heuchelei:
Wie will ein Land glaubhaft und für alle nachvollziehbar als Begründung für die Migration auf Mitmenschlichkeit pochen, wenn in diesem Land gleichzeitig und bereits vor der Grenzöffnung eigene Staatsbürger*innen in nicht überschaubar großer Zahl auf der Straße leben müssen und mussten? Jeder anerkennt als natürliche Pflicht, zunächst der eigenen Familie zu helfen,
jedes Völkerrecht anerkennt die vorrangige Sorge um eigene Staatsbürger. Warum nur handelt der Staat hier abweichend?
(c) Trotz genannter Absicht, mitmenschlich zu handeln, vermeiden es die Staaten - auch der unsere - Steuerschlupflöcher zu schließen oder das Steuergesetz gerechter zu machen. Den Staaten entgehen dadurch Einnahmen, die das Budget der weltweiten Hungerhilfe um ein Mehrfaches übersteigen.
(d) Besonders janusköpfig - zwei Gesichter oder zwei Masken - zeigt unsere Republik in Fragen der Nachhaltigkeit. Hier werden Pariser Nachhaltigkeitsziele als heilig hochgehalten, dort holt man Menschen aus den Bäumen des Hambacher Forstes, die doch wegen dieser Ziele dort hineingeklettert sind, weil man mit des Staates Hilfe alte Baumbestände in großer Zahl roden möchte, um trotz klimaschädlicher Wirkung den wirtschaftlichen Interessen des Braunkohletagebaus zu genügen.
(e) Der trockene Sommer - bereits Zeichen zunehmender Klimaveränderung? - hat überall zu Grill- und Rauchverboten geführt; alle haben das verstanden und weitgehend berherzigt. Dass aber jetzt die Bundeswehr in einem trockenen Moor Raketen abfeuert, eine Katastrophe auslöst und wohl 1,4 Millionen t CO2 freisetzen wird, ist die Krone des Vernunftverlustes. Wieviel organisches Material dabei wohl unumkehrbar zu Schaden gekommen ist? Hat man dort zwar das Rauchverbot beherzigt, aber Raketen sind ja etwas anderes? Oder ist diese Bundeswehr nicht mehr Teil unserer Gesellschaft und macht sich ihre eigenen Regeln?
(f) Bei aller Marktgläubigkeit vermeidet es der Staat, externe Kosten gleich einpreisen zu lassen (z.B. CO2-Belastung bei Kreuzfahrtschiffen). So lässt man die Gewinne den Konzernen jetzt und lässt die Folgen später durch die Allgemeinheit tragen.
(g) Die angestrebte Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Gesetzgebers unterläuft dieser selbst allzu gerne in der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen. Wozu hat man fachkundige, wenn auch wenig neutrale Lobbyisten? Viele der europäischen und deutschen Gesetzesvorschläge sind gegengelesen und mitgeschrieben von denen, die ihren Vorteil wahren. Das Volk aber hat man bei keiner der über 300 Änderungen des Grundgesetzes befragt.
»Quod licet Iovi, non licet bovi» hätten die alten Römer zu alledem gesagt (»Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt«).
Vernünftig und einleuchtend ist das alles jedenfalls nicht. So schwindet Vernunftvertrauen, was entsteht bei richtig verstandener und gelebter Würde des Menschen; Fortsetzung dieser Vernunftaussetzer gefährdet jede Republik.
Wie sieht denn die Wirklichkeit heute aus in unserer Republik?
Die obigen Ziele und Formen sind prägnanter Bestandteil unseres Grundgesetzes in den Artikeln 20 und 146; soweit scheint alles in bester Ordnung. Aber der Schein trügt, denn es wird nicht getan, was geschrieben steht. Es gibt keine vom Volk verabschiedete Verfassung, die die Gewalten lenkt und zähmt. Dem Volk ist es bisher nur gestattet, alle vier Jahre seine Stimme für von Parteien vorgegebene Kandidaten in die Urne zu werfen.
Die Gewalten sind voneinander nicht unabhängig, sondern werden dominiert von der Exekutive. Sie bestimmt weitgehend die Gesetze, hat sie doch die Mehrheit im gesetzgebenden Bundestag. Sie lenkt die Stimmen dort durch Parteienräson. Und die Judikative ist ebenfalls abhängig von der Exekutive: Deutschland ist neben Österreich das einzige europäische Land, das die Judikative durch einen der Regierung angehörigen Justizminister leitet und durch dessen Budget finanziell steuert.
Ganz gegen das Ziel des Aufklärungsprojektes ist alles wieder in »einer Hand«, auch wenn diese nun »mehrköpfig« ist. Und ganz gegen die Aussage des Art.20 GG geht nicht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Dem Volke ist alle Macht ausgegangen oder richtiger: Es hat sie eigentlich noch nie innegehabt.